Ahnenkult

Eine Māori-Ahnentafel (Poupou) aus Neu­seeland, einziges erhaltenes Objekt einer Südsee­reise von James Cook (Ethno­lo­gi­sche Sammlung der Universität Tübingen)

Ahnenkult oder Ahnenverehrung, auch Manismus genannt (von lateinisch manes „Geister der Verstorbenen“), ist ein Kult, bei dem tote Vorfahren (Ahnen) – genauer: ihre vermeintlich weiterbestehenden Geister – mit bestimmten Ritualen verehrt werden. Die Ahnen stehen entweder in direkter familiärer Linie oder waren Gründer oder Oberhaupt der Gruppe, der die Verehrenden angehören. Fast immer wird der Ahnenkult in Verbindung mit einer Opfergabe durchgeführt, beispielsweise einem Trank-, Speise-, Brand- oder Kleidungsopfer; in manchen Kulturen konnten auch Menschenopfer dazu gehören.

Der Ahnenkult ist weltweit verbreitet, vor allem bei sesshaften und Feldbau treibenden Völkern aufgrund ihrer engen Bindungen an den Kreislauf von Leben und Tod. Deutlich seltener findet er sich bei Jägern und Sammlern. Er ist vor allem Teil des chinesischen Volksglaubens (im Besonderen des Konfuzianismus) und der japanischen Shintō-Kultur und spielt eine wesentliche Rolle in den afrikanischen und afroamerikanischen Religionen (z. B. Voodoo), den ethnischen Religionen Indonesiens und in den polynesischen Religionen sowie im Hinduismus.[1] Auch die römische und die germanischen Religionen, sowie die Heiligenverehrung in der katholischen Kirche und im Islam sind von der Ahnenverehrung geprägt.[2] Je nach Zeitalter und Kultur lassen sich mehr oder weniger unmittelbare Praktiken des Ahnenkults feststellen; dazu gehört auch die heute übliche Blumengabe an Grabstätten.

Im Ahnenkult werden die Geister der Toten – die Heil oder Unheil bringen können – mit zur Verwandtschaftsgruppe (Kindred) der lebenden Mitglieder gerechnet. Entsprechende Zeremonien sollen das Gefühl verstärken, dass die Ahnen mit und bei ihren Nachkommen leben (siehe Wir-Gefühl). Viele Religionen kennen Möglichkeiten, verehrte Ahnen symbolisch sichtbar zu machen, vor allem mit Ahnenfiguren, Ahnenmasken oder Gedenksteinen (siehe Menhiren). Die Opfergabe für die Ahnen wird als eine regelmäßige Verpflichtung gesehen, um die Verbindung aufrechtzuerhalten. Die kultischen Zeremonien übertragen meist das diesseitige soziale Verhalten gegenüber den lebenden Ältesten auf die Ahnen, oft in Verbindung mit der Vorstellung, die Jenseitswelt sei die Fortsetzung oder die Spiegelung des Diesseits.

In Abgrenzung zum Totenkult – in dem man in der Regel die Rückkehr der Ahnen verhindern will – werden beim Ahnenkult auch Vorfahren verehrt, die bereits seit langem tot sind, insbesondere die Gründerin oder den Gründer einer Abstammungsgruppe (Lineage) oder eines ganzen Familienzweiges. Darüber hinausgehend verehren große Familienverbände auch mythische Ahnen, die als Gründer beispielsweise eines Clans gelten (siehe mythische Stammmütter).

Es wird angenommen, dass der häufig anzutreffende Glauben an ein Leben nach dem Tod sowie die Stärkung des Wir-Gefühls über den Tod hinaus die Ahnenverehrung hervorgebracht hat.[1]

Im 19. Jahrhundert hielten Forscher (wie etwa der Anthropologe Edward B. Tylor) den Manismus für den Ursprung der Religion. Diese Ansicht ist heute überholt. Demgegenüber hat etwa Jack Herbert Driberg 1936 der Ahnenverehrung jeglichen religiösen Bezug abgesprochen.[3]

  1. a b mit Anmeldung: Ahnenverehrung. Brockhaus Enzyklopädie Online, abgerufen am 11. November 2024.
  2. Lexikoneintrag: Ahnenverehrung. In: Wissen.de. 2014–2019, abgerufen am 30. Oktober 2019.
  3. Bettina Schmidt: Ahnenverehrung. Lexikoneintrag in: Walter Hirschberg (Hrsg.): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage. Reimer, Berlin 2005, ISBN 3-496-02650-2, S. 15.

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