Dieser Artikel beschreibt ein Sekret des Bibers. Für den gleichnamigen Mediziner siehe Horst Bibergeil.
Das Bibergeil[1] oder Castoreum[2] ist ein Sekret aus speziellen, paarig zusammenhängenden und keulenförmigen Beuteln oder Taschen, Castorbeuteln (irreführend Drüsensäcken) unter dem Schambein des Bibers (Castor fiber und Castor canadensis), das zu einer gleichnamigen pulverförmigen Drogenmasse[3] verarbeitet werden kann. Es sind jedoch keine Drüsen in histologischem Sinn, denn sie sezernieren nicht.[4][5] Die Castorbeutel sind auch unter verschiedenen anderen Bezeichnungen bekannt: Geildrüsen, Geilsäcke, Kastorsäcke, Präputialsäcke, Bibergeile, oder auch Geilen[6].
Das moschusähnliche Duftsekret wird im Körper des Bibers gebildet und in die Castorbeutel geleitet, es besteht aus einem komplexen Gemisch von chemischen Verbindungen, die wahrscheinlich aus Sekundärmetaboliten des Urins gebildet werden.[7] Der Biber nutzt das talgartige, aber nicht fettige, eher gummiharzige, bräunliche und stark stechend riechende[8] Sekret zur Fellpflege, seiner Duftmarkierung und zum Markieren seiner Reviergrenzen, sowie zur Unterscheidung seiner Artgenossen und Familienmitglieder.[9]
Die beiden 25 bis 250 Gramm schweren,[6] etwa hühnereigroßen, bis ins 16. Jahrhundert oder länger für Hoden (hier lateinisch testiculi castori[10]) oder auch manchmal in Neufrankreich für Nieren[11][12] gehaltenen Beutel (irreführend Präputialdrüsen) des Bibers, die sich bei beiden Geschlechtern zwischen After und äußeren Geschlechtsorganen befinden und von einer braunschwarzen runzligen Haut umgeben sind, werden/wurden dem getöteten Tier entnommen und rauchgetrocknet. Es kann dann auch zur Verbesserung der Qualität länger gelagert werden.[13] Der Geruch ähnelt dem des Baldrians, ist lederartig-animalisch, der Geschmack kann als bitter, scharf und aromatisch beschrieben werden. In den USA gibt es seit einiger Zeit spezielle Biberfarmen, wo die zuerst betäubten Tiere „gemolken“ werden und das kostbare Sekret aus den Drüsen herausgedrückt wird, ohne dass die Biber getötet werden.[14][15]
Der Biber hat noch zwei andere, kleinere Drüsen (Ölsäcke, Fettbeutel), hier handelt es sich, im Gegensatz zu den Castorbeuteln, um echte holokrine Drüsen (Analdrüsen oder Perianaldrüsen)[16][17][18][19], aus denen das Bibergeilfett (Axungia castorei)[20] erhalten wird; es ist schmierig, mit schwächerem, etwas fettigem Geruch.[21] Das Sekret aus diesen Ölsäcken dient mehrheitlich dazu, das Fell wasserdicht zu machen, ähnlich der Bürzeldrüse bei Vögeln. Diese Sekrete sind nach Geschlechtern gefärbt; gräulich, mit einer pastenartigen Konsistenz bei Weibchen und gelblich-braun und flüssig bei Männchen.[22] In den Vereinigten Staaten werden diese kleineren Beutel auch als Ölsteine bezeichnet.[23]
Die beiden verschiedenen Biberbeutel werden von verschiedenen Autoren generell auch, irreführend, als After- oder Analdrüsen oder einfach als Ölsäcke bezeichnet.
Das Castoreum (gelegentlich auch Castorium[28][29] und Kastorium geschrieben) hat nichts, wie man annehmen könnte, zu tun mit Castorbohnen oder Castoröl, dies sind aus dem Englischen übernommene Bezeichnungen für Rizinusöl (engl. Castor oil) oder die Samen des Wunderbaums (engl. Castor beans).[30]
↑Bibergeil: von Biber, und von mittelhochdeutsch geil, geile, Hoden. Vgl. Friedrich Kluge, Alfred Götze: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 20. Auflage, hrsg. von Walther Mitzka. De Gruyter, Berlin/New York 1967; Neudruck („21. unveränderte Auflage“) ebenda 1975, ISBN 3-11-005709-3, S. 242.; und Joseph Hyrtl: Die alten deutschen Kunstworte der Anatomie. Braumüller, Wien 1884; Neudruck Fritsch, München 1966, S. 58 f.; sowie Nabil Osman (Hrsg.): Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft. C. H. Beck, München 1971 und (7., unveränderte Auflage) 1993, S. 99 f. (Geburtsgeile, Geile: Hoden bzw. Eierstöcke)
↑Castoreum: über lateinisch castoreus (‚vom Biber stammend, Biber-‘) und wie griechisch kastórion von griechisch-lateinisch castor, ‚Biber‘, zu gleichbedeutend griechisch κάστωρ/kástōr; die weitere Etymologie des auch bei Frauenleiden früher eingesetzten Arzneimittels ist umstritten. Kretschmer folgend wird das Wort auf den Eigennamen Kastor (gedeutet als ‚der Ausgezeichnete‘, von κέκασμαι/kékasmai, ‚sich auszeichnen‘) zurückgeführt, vgl. Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch. 3 Bände, Heidelberg 1960–1972; Neudruck ebenda 1973 (= Indogermanische Bibliothek. Reihe II), Band 1, S. 799 und 811. Beekes und van Beek lehnen die Gleichsetzung von κάστωρ ‚Biber‘ mit dem Namen Κάστωρ (für den Frauen rettenden Gott) ab und sehen in ersterem stattdessen ein nicht weiter spezifiziertes Lehnwort oder ein indogermanisches Erbwort, vgl. Robert Beekes und Lucien van Beek: Etymological Dictionary of Greek, in: Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series, Band 10/1, Leiden und Boston 2010, S. 655 f.
↑Jürgen Martin: Die ‚Ulmer Wundarznei‘. Einleitung – Text – Glossar zu einem Denkmal deutscher Fachprosa des 15. Jahrhunderts. Königshausen & Neumann, Würzburg 1991 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 52), ISBN 3-88479-801-4 (zugleich Medizinische Dissertation Würzburg 1990), S. 117.
↑W. Blaschek, R. Hänsel, K. Keller u. a.: Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 5. Auflage. Folgeband 2: Drogen A–K, Springer, 1998, ISBN 3-540-61618-7, S. 300.
↑ abP. H. List, L. Hörhammer (Hrsg.): Hagers Handbuch der Pharmazeutischen Praxis. 4. Auflage, 3. Band: Chemikalien und Drogen (Am–Ch), Springer, 1972, ISBN 978-3-642-80563-9 (Reprint), S. 764.
↑B. V. Burger: Mammalian semiochemicals. In: Topics in Current Chemistry. Band 240, 2004, S. 231–278. doi:10.1007/b98318, online (PDF; 582 kB), auf indiana.edu, abgerufen am 11. Februar 2017.
↑Der Sprach-Brockhaus. Eberhard Brockhaus, Wiesbaden 1949, S. 75: starkriechende Abscheidung des Bibers.
↑Otto Beßler: Prinzipien der Drogenkunde im Mittelalter. Aussage und Inhalt des Circa instans und Mainzer Gart. Mathematisch-naturwissenschaftliche Habilitationsschrift, Halle an der Saale 1959, S. 169.
↑Johann Heinrich Dierbach: Die Arzneimittel des Hippokrates oder Versuch einer systematischen Aufzählung der in allen hippokratischen Schriften vorkommenden Medikamente. Heidelberg 1824, S. 229 f. („kastorios orchis“)
↑Gordon M. Sayre: Les Sauvages Americains. Univ. of Noth Carolina Press, 1997, ISBN 0-8078-2346-5, S. 223 f.
↑Gerald E. Svendsen, William D. Huntsman: A Field Bioassay of Beaver Castoreum and Some of Its Components. In: The American Midland Naturalist. Band 120, Nr. 1, 1988, S. 144–149, doi:10.2307/2425894.
↑F. Rosell, Lixing Sun: Use of anal gland secretion to distinguish the two beaver species Castor canadensis and C. fiber. In: Wildlife Biology. 5(2), 1999, S. 119–124, doi:10.1007/BF00994781, online (PDF; 2,5 MB), bei ScholarWorks @ Central Washington University, abgerufen am 6. Juni 2018.
↑W. L. Braekman (Hrsg.): Zestiende-Eeuwese Veterinaire Literatuur uit de Nederlanden. Brüssel 1987 (= Scripta: Mediaeval and Renaissance texts and studies. Band 20, S. 148).
↑Vergleiche auch Hermann Stannius: Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Veit & Comp., Berlin 1846, S. 373 mit Anm. 18 (Ölsäcke); eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
↑Herrmann Julius Meyer: Neues Konversations-Lexikon. Dritter Band, Zweite Auflage, Bibliograph. Inst., 1862, S. 402 f.
↑Róisín Campbell-Palmer, Derek Gow, Robert Needham u. a.: The Eurasian Beaver. Pelagic Pub., 2015, ISBN 978-1-78427-034-6, S. 12 f.
↑Gary E. Moulton, Thomas W. Dunlay: The Journals of the Lewis and Clark Expedition. Band 6. University of Nebraska Press, 1990, 2001, ISBN 0-8032-2893-7, S. 197.
↑J. und W. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Erster Band: A–Biermolke, Hirzel 1854, S. 1807 f.
↑Wolfgang Schneider: Lexikon zur Arzneimittelgeschichte. 5. Band, Govi, 1974, S. 125, online auf publikationsserver.tu-braunschweig.de, abgerufen am 3. Juni 2018.
↑Medizinhistorisches Journal. Band 41, H. 2, Franz Steiner Verlag, 2006, S. 143 f.
↑Vgl. etwa Otto Beßler: Prinzipien der Drogenkunde im Mittelalter. Aussage und Inhalt des Circa instans und Mainzer Gart. Mathematisch-naturwissenschaftliche Habilitationsschrift, Halle an der Saale 1959, S. 169 („Castorium – bebergeyln, ... testiculi castori – Castoreum“).
↑Vgl. auch Ute Obhof: Rezeptionszeugnisse des „Gart der Gesundheit“ von Johann Wonnecke in der Martinus-Bibliothek in Mainz – ein wegweisender Druck von Peter Schöffer. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018, S. 25–38, hier: S. 35 („Castorium – bebergeyln“).
↑Ausführliche Erläuterungen dazu sie im Artikel Rizinusöl.