Stichomythie

Als Stichomythie (aus altgriechisch stichos„Zeile“ und mythos „Rede“, daher auch Zeilenrede) wird im Drama ein dialogischer Rednerwechsel von Vers zu Vers bezeichnet, bei dem also besonders kurze Sätze rasch aufeinander folgen. Mit Hilfe dieses Stilmittels wird den Zuschauern die Intensität oder Dringlichkeit der Unterredung signalisiert. Eine Steigerung dieses Effekts, bei der sich die einzelne Verszeile auf mehrere Personen verteilt, ist die Antilabe. Ein Dialog in Doppelversen wird Distichomythie, in Halbversen (Hemistichien) Hemistichomythie, genannt.

Je nach dem Gegenstand der Wechselrede unterscheidet man Überredungs-, Streit-, Anagnorisis-, Gebets-, Beratungs-, Abschieds-, Verhör-, Klage- oder Informations-Stichomythie. Sie fand in der Antike vor allem im griechischen Drama Verwendung, besonders in der Tragödie (König Ödipus von Sophokles), wo längere Passagen von bis zu 100 Versen mit Stichomythie in sämtlichen überlieferten Tragödien erscheinen, weniger in der Komödie des Aristophanes oder Menander, wo Rednerwechsel oft mitten im Vers erfolgen. Im römischen Drama erscheint Stichomythie erst in den Tragödien des Seneca.[1]

In der nachantiken Literatur tritt Stichomythie ebenfalls auf, so bei Shakespeare zum Beispiel in Richard III (IV,4) und Hamlet (III,4) und bei Molière. Im deutschen Drama erscheint die Stichomythie bereits im höfischen Epos (Hartmanns Iwein), als Stichreim im Drama des 15. und 16. Jahrhunderts, zum Beispiel bei Hans Sachs und im Fastnachtsspiel, in Sentenzenform im Barock (Gryphius Papinianus) und in der Klassik in antikisierender Form zum Beispiel in Schillers Braut von Messina (I,5 und III,1). Bei Heinrich von Kleist (Penthesilea) tritt die Stichomythie gegenüber der noch dynamischeren Antilabe zurück.[2]

Ein bekanntes Beispiel der Stichomythie im deutschen Drama ist deren Verwendung in Goethes Iphigenie auf Tauris, zum Beispiel in 4. Aufzug, 2. Auftritt:

Arkas
Ich melde dieses neue Hindernis
Dem Könige geschwind, beginne du
Das heil’ge Werk nicht eh bis er’s erlaubt.
Iphigenie
Dies ist allein der Priestrin überlassen.
Arkas
Solch seltnen Fall soll auch der König wissen.
Iphigenie
Sein Rat wie sein Befehl verändert nichts.
Arkas
Oft wird der Mächtige zum Schein gefragt.
Iphigenie
Erdringe nicht, was ich versagen sollte.
Arkas
Versage nicht, was gut und nützlich ist.
Iphigenie
Ich gebe nach, wenn du nicht säumen willst.

  1. William H. Race, David Kovacs: Stichomythia. In: Roland Greene: Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics. Princeton University Press, 2012, ISBN 978-0-691-13334-8, S. 1359.
  2. Manuel Baumbach: Stichomythie. In: Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur : Begriffe und Definitionen. Metzler, 2007, ISBN 978-3-476-01612-6, S. 732.

Stichomythie

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