Edler Wilde ist ein Schlagwort, das auf ein Idealbild des von der Zivilisation „unverdorbenen Naturmenschen“ verweist. Zentral ist die Vorstellung, dass der Mensch ohne Einfluss der Zivilisation von Natur aus gut sei. Er ist bis heute ein beliebter Topos kulturkritischer Autoren. In der modernen Ethnologie gilt der Begriff des Edlen Wilden als längst überholte These.[1]
Nach der europäischen Entdeckung und Eroberung Amerikas fand dieser Gedanke einigen Anklang; er nahm insbesondere in dem Epos La Araucana (um 1570) von Alonso de Ercilla y Zúñiga Gestalt an. Michel de Montaigne verwendete 1580 erstmals den Begriff. Hundert Jahre später griffen John Dryden und Aphra Behns die Idee wieder auf (letztere in ihrem 1688 erschienenen Roman Oroonoko). Im 18. Jh. war der Philosoph Jean-Jacques Rousseau einer ihrer prominenten Vertreter, und vornehmlich in der Romantik fand diese Vorstellung viele Anhänger.
Bezüge finden sich im Unschuldszustand im biblischen Garten Eden vor dem Sündenfall, im griechischen Mythos des goldenen Zeitalters sowie der Insel der Seligen der griechischen Mythologie. Anders als die Vorstellung vom „edlen Wilden“ verorten diese mythologischen Überlieferungen das prä-zivilisatorische „goldene Zeitalter“ jedoch in einem vergangenen Weltzeitalter und nicht bei heute existierenden sogenannten „Naturvölkern“. Während in traditionellen mythologischen Weltbildern die Abfolge der Weltzeitalter gewöhnlich als Abstieg und eine Verschlechterung gesehen wird, verwarfen die Entwickler des modernen aufklärerisch-evolutionistischen Weltbilds diese traditionelle Sicht der Dinge und kehrten sie um, indem sie Geschichte als permanente kulturelle Höherentwicklung aus einem keineswegs paradiesischen, sondern „rohen“ Urzustand beschrieben.