Eine Ritualmordlegende (auch: Ritualmordfabel, Ritualmordvorwurf, Blutanklage, Blutbeschuldigung, Blutlüge, Blutverleumdung; englisch blood libel) sagt gesellschaftlich diskriminierten Minderheiten Ritualmorde an Angehörigen einer Mehrheitsgruppe nach. Die Kolporteure greifen oft unaufgeklärte Entführungs-, Unglücks-, Tötungs- oder Todesfälle auf, besonders von Kindern, und bieten dafür „Sündenböcke“ an.
Historisch besonders folgenreich waren Ritualmordanklagen im Christentum: Die Juden würden heimlich christliche Kinder entführen und ermorden, weil sie deren Blut für ihre Pessachfeier und zu verschiedenen magischen oder medizinischen Zwecken bräuchten. Kirchliche Interessengruppen erfanden solche Legenden, erstmals 1150 in England, und verbreiteten sie mit Predigtkampagnen, Traktaten, Volkssagen und religiöser Folklore in Europa. Christliche Ritualmordanklagen lösten jahrhundertelang immer wieder Judenpogrome, Verfolgungen und Vertreibungen von Juden aus oder rechtfertigten sie nachträglich. Sie blieben bis ins 20. Jahrhundert hinein „ein allgemein akzeptiertes Kulturmuster des christlichen Europa, das kirchenpolitisch und zeitweise staatspolitisch normative Geltung hatte.“[1]
Aus diesem Stereotyp des christlichen Antijudaismus entstand die Verschwörungstheorie eines angeblichen Weltjudentums, das sich heimlich für schwerste Verbrechen an Nichtjuden verabrede.[2] Antijüdische Ritualmordlegenden überdauerten die Aufklärungsepoche und wurden im modernen Antisemitismus seit 1800 wiederbelebt und vermehrt. Die Nationalsozialisten benutzten sie zur ständigen Volksverhetzung vor und während des Holocaust.
Aktuell lebt die antisemitische Ritualmordlegende in verschiedenen Varianten vor allem im Rechtsextremismus und Islamismus fort.