Als Staatsfetisch (auch Staatsfetischismus) bezeichnen (neo)marxistische Autoren, im Anschluss an Karl Marx’ Kritik des Warenfetischismus in seinem Hauptwerk Das Kapital (1867), die Verselbständigung der sozialen Formen Recht, Politik und Staat.
Mit dem Begriff Fetisch bezeichnet man die Zuschreibung von Eigenschaften oder Kräften zu Sachen, die diese von Natur aus nicht besitzen. Zu Marx’ Zeiten wurde der Begriff Fetisch in erster Linie in Zusammenhang mit animistischen Religionen benutzt. Die Konnotation des Begriffs Fetisch mit Sexualität kam erst durch Sigmund Freuds Konzept des sexuellen Fetisches in der Psychoanalyse ab 1890.
Karl Marx und Friedrichs Engels sprachen nur implizit vom Fetischcharakter politischer Formen,[1] etwa von der verhüllenden Wirkung der Rechtsgleichheit gegenüber kapitalistischer Ungleichheit[2] oder politischer Scheinfreiheit, wenn formale Stimmengleichheit reale Ungleichheit verschleiert.[3] Die Anwendung der Form- und Fetischkritik auf den Staat ist ein Theorem des 20. Jahrhunderts.
So wie Marx den Geldfetisch (auch Geldfetischismus) und Kapitalfetisch (auch Kapitalfetischismus) aus dem Warenfetischismus entwickelt hat, ergänzen im 20. Jahrhundert Autoren wie Jewgeni Bronislawowitsch Paschukanis und Georg Lukács den Rechtsfetischismus als Fetischcharakter der Rechtsform. Später geht es bei Johannes Agnoli und der bundesdeutschen Staatsableitungsdebatte um die Form Staat, die Sozialstaatsillusion und den Politikfetischismus.
Die Begriffsbildung zum Staatsfetischismus gipfelt schließlich zum Ende des 20. und Beginn des 21. Jahrhunderts in verschiedenen Ansätzen. Die im deutschsprachigen Raum am stärksten rezipierten Staatsfetischtheorien stammen von dem Wertkritiker Robert Kurz (2000), dem Postoperaisten John Holloway (2002, 2010), dem Ideologiekritiker Stephan Grigat (2007) und dem Staatstheoretiker Joachim Hirsch (2005).[4]