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Visionssuche

Die Visionssuche (engl. Visionquest oder Vision Quest), auch Traumfasten oder Schutzgeistsuche ist im ethnologischen Sinn eine spirituelle Praxis einiger ethnischer Religionen Amerikas zur Erlangung von übernatürlicher Kraft durch die ritualisierte Suche nach einem persönlichen Schutzgeist. Sie kam bei den Eskimos[1] und den Indianern des nordöstlichen, zentralen und westlichen Nordamerikas sowie bei vereinzelten Stämmen Südamerikas vor und spielte eine besondere Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen; in den meisten Fällen von Männern,[2] bei einigen Stämmen jedoch auch von Frauen.[3]

Die Suchenden begaben sich dazu allein an entlegene Orte, um dort durch tagelanges Fasten, Schlafentzug und andere Formen der Selbstmarter die gewünschten Visionen zu erlangen. Der so erzeugte veränderte Bewusstseinszustand führte zu Halluzinationen, die als Kontakt zu einem Schutzgeist aus dem Jenseits erlebt wurden. Mit ihm wurde dann in verschiedener Weise ein Pakt geschlossen. Der tiefe Glaube an diesen Pakt stärkte das Selbstvertrauen der jungen Menschen, so dass etwa junge Männer in der Liebe, im Handel oder im Kampf erfolgreich waren.[4]

Die Eindrücke übernatürlicher Erscheinungen haben Ähnlichkeit mit der schamanischen Seelenreise. Sowohl die Art der Visionssuche als auch die mentalen Erlebnisse spiegelten die kulturellen Erwartungen des jeweiligen Volkes wider.[2] So waren Tapferkeit und Standhaftigkeit bei allen Ethnien, die Visionssuchen durchführten, hohe Ideale;[4] war beispielsweise ein individueller Totemismus mit der Vorstellung seelenverwandter Tiere Teil der Kultur, dann erschien der Schutzgeist in Gestalt eines Tieres. Nach dem Niedergang der nordamerikanischen Indianer Ende des 19. Jahrhunderts verlor die Visionssuche erheblich an Bedeutung. Sie wurde jedoch Teil der christlich-synkretistischen Peyote-Religion[2]

Nach Anthony Wallace gehört die Visionssuche zu den „individualistischen religiösen Kulten“, da in der Regel weder Schamanen noch Priester für die Durchführung notwendig sind.[4] Nur in Ausnahmen (etwa beim Männlichkeitsritual der Shuar Ecuadors oder dem Toloache-Kult Südkaliforniens) wird bzw. wurde sie als im Rahmen kollektiver Initiationsriten und unter Einsatz psychotroper Drogen durchgeführt.[2]

In der esoterischen Szene existiert eine westlich adaptierte Form der Visionssuche.

  1. Dieter Haller u. Bernd Rodekohr: dtv-Atlas Ethnologie. 2. vollständig durchgesehene und korrigierte Auflage 2010, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, ISBN 978-3-423-03259-9. S. 253.
  2. a b c d Walter Hirschberg (Begründer), Wolfgang Müller (Redaktion): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage, Reimer, Berlin 2005. S. 398–399.
  3. Anita Weinberger: Die Indianer Nordamerikas. Kunst, Traditionen und Weisheit der amerikanischen Ureinwohner. National Geographic 2009, ISBN 978-3-86690-120-9. S. 91.
  4. a b c Marvin Harris: Kulturanthropologie – Ein Lehrbuch. Aus dem Amerikanischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff, Campus, Frankfurt/New York 1989, ISBN 3-593-33976-5. S. 288–289.

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