Die kaiserliche Libellkanzlei (a libellis) war seit dem 1. Jahrhundert eine Institution im römischen Reich, deren primäre Aufgabe darin bestand, neben allgemeinen Anliegen und Bittschriften (libelli) die rechtstangierenden Anfragen, Anträge und Beschwerden von Privatpersonen entgegenzunehmen, um diese zu bewerten und einer Entscheidung zuzuführen. Der Petent musste nicht im Besitz des römischen Bürgerrechts sein, so dass es auch einem Ausländer (peregrinus) möglich war, sein Anliegen einzureichen.
Das Personal der Behörde setzte sich aus dem Kanzleileiter, weiteren Juristen, Schreibern und Boten zusammen. Die dienstlichen Anfragen von Staatsbeamten und anderen öffentlichen Körperschaften wurden in einer gesonderten Kanzlei (ab epistulis) bearbeitet und mit einem separaten Brief (epistula) beantwortet.
Die Kaiser als Adressaten der privaten Petitionen waren zum einen meistens bemüht, dem Anschein von willkürlich getroffenen Bestimmungen entgegenzuwirken und zum anderen bestrebt, ungewollte Rechtsfolgen in späteren gleichgelagerten Fällen tunlichst zu vermeiden. Der Richter war in einem Gerichtsverfahren an die dokumentierten Rechtsauffassungen der Kaiser, sie flossen später in den Digesten ein, grundsätzlich gebunden. Hierbei waren die Herrschenden auf den Rat von rechtskundigen Assistenten angewiesen. Die auf eine Petition folgende Sachbearbeitung und die fachjuristischen Gutachten unterstützten die Regenten in ihren Entscheidungen und entlasteten diese in ihrer alltäglichen Regierungsarbeit. Das fachliche Schaffen der zumeist hochqualifizierten Juristen in der kaiserlichen Libellkanzlei bewirkte, dass in der Bevölkerung Rechtssicherheit empfunden wurde. Die Kaiser hielten sich diesen Effekt aufgrund ihrer Autorität freilich auch selbst zugute.
Etwa ab der Mitte des 4. Jahrhunderts verlor die Institution zunehmend an Bedeutung und Ansehen. Wegen einer zunehmenden, um sich greifenden Korruption unter den Kanzleibediensteten, die nach einer Organisationsreform nicht mehr im direkten Kontakt mit dem Kaiser standen, brachte man den nun oftmals erkauften Verfügungen, die weiterhin im Namen der Herrscher erlassen wurden, kein rechtsweisendes Vertrauen mehr entgegen.