Nationalismus

Nationalismus ist eine Ideologie, die eine Identifizierung und Solidarisierung aller Mitglieder einer Nation anstrebt und Letztere in einem souveränen Staat verbinden will. Nationalismen werden (zunächst) von Nationalbewegungen getragen und in Nationalstaaten auch durch das jeweilige Staatswesen reproduziert. Je nach Entstehungsgeschichte des jeweiligen Nationalismus ist die durch ihn beförderte Identität der Nation unterschiedlich ausgefüllt. Unterscheidungsmarker können Staatsangehörigkeit, kulturelle, ethnische, religiöse oder Abstammungsmerkmale umfassen.

Das 19. Jahrhundert kannte den Begriff Nationalismus zunächst nicht, sondern lediglich den des Nationalstaatsprinzips (Eric Hobsbawm). Ziel nationaler Bestrebungen war es, zersplitterte Territorien zu vereinigen, großräumige Handelszonen zu schaffen, Kultur, Administration und die Verkehrssprache im Interesse einer effektiven Volkswirtschaft zu vereinheitlichen. Die Nation im rechtlich-philosophischen Sinne ist das „Staatsvolk“. Zu diesem müssen nicht alle Bewohner eines Territoriums zählen; die Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise rechneten afrikanische Sklaven sowie indigene Indianervölker bis ins 20. Jahrhundert nicht dazu. Im 19. Jahrhundert erweiterten die meisten Nationalstaaten ihr „Staatsvolk“ um ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen und gewährten allen Bürgern umfangreichere Rechte.[1] Insgesamt ist der Nationalstaatsgedanke untrennbar mit der modernen Idee von Staatlichkeit verbunden. Dementsprechend wurden Judenemanzipation, freies Wahlrecht, einheitliche Gesetzgebung, Gleichberechtigung aller Bürger im Rahmen des Nationalstaatsgedankens durchgesetzt.

Der Nationalismus als Massenideologie gewann im 19. Jahrhundert zunehmend an Kraft und vereinte heterogene Staatsvölker durch ein vereinheitlichendes Selbstverständnis.[2] Historisch erreichten nationalistische Ideen erstmals im ausgehenden 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und der Französischen Revolution politisch bedeutsame Auswirkungen. Im 19. Jahrhundert kam es zu europäischen Nationenbildungen, die ein im Vergleich zur französischen Staatsnation stärker ethnisches Nationenbild transportierten, so zum Beispiel die deutsche Kulturnation oder die Bulgarische Wiedergeburt (siehe auch: Bulgarophilie). Außerhalb Europas entstanden durch Unabhängigkeitsbestrebungen vom Kolonialismus neue Nationalstaaten. Spätestens seit der Etablierung des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf völkerrechtlicher Ebene im 20. Jahrhundert sind Nationalismen eine hegemoniale Ideologie auf globaler Ebene.

Nationalismus ist nicht an ein bestimmtes politisches System gebunden: Herrschten zu Beginn des Erfolgs von Nationalismen aufklärerische Staatsmodelle vor, so verbanden sich später unterschiedliche Nationalismen auch unter anderem mit monarchistischen, postkolonialen, sozialistischen und faschistischen Systemen bis hin zum Nationalsozialismus. Auch von Demokratien werden nationalistische Ziele verfolgt.

Nationalismen können – wie in den Jugoslawienkriegen – zum Zerfall von Staaten führen, oder aber – wie im italienischen Risorgimento – Staaten vereinen.

  1. Rein verfassungsrechtlich wurden in den USA die afrikanische Sklaven erst 1870 zu Staatsbürgern ohne Wahlrecht erklärt, die Indianer 1924. Das Frauenwahlrecht wurde 1920 eingeführt. Vgl. zur Geschichte des Hautfarbenrassismus in der Amerikanischen Revolution insbesondere Gerald Horne: The Counter-Revolution of 1776: Slave Resistance and the Origins of the United States of America. 2014, ISBN 978-1-4798-9340-9.
  2. Eric Hobsbawm: Die Blütezeit des Kapitals: Eine Kulturgeschichte der Jahre 1848–1875 (Das lange 19. Jahrhundert, Bd. 1), Darmstadt 2017, S. 105 ff.

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