Sexuelle Selbstbestimmung wird in einer 1999 verabschiedeten Erklärung der sexuellen Menschenrechte definiert als „Freiheit eines jeden Individuums, alle seine sexuellen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen“.[1] Demzufolge hat jeder das Recht, über seine Sexualität frei zu bestimmen und vor Übergriffen oder Sexualdelikten Schutz durch Bestimmungen über Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu finden. Das gilt auch für Menschen mit Behinderung.[2][3] Das Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als Abwehrrecht interpretiert. Auf keinen Fall gibt es ein Recht, unter Berufung auf die eigene sexuelle Selbstbestimmung das Recht anderer auf sexuelle Selbstbestimmung zu verletzen.
In der Schweiz wird die Bezeichnung Sexuelle Integrität (Straftaten gegen die sexuelle Integrität) verwendet, und in Österreich finden sich beide Begriffe (Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung). Daneben bezeichnet der Begriff eine Wertvorstellung, an deren Entwicklung zunächst maßgeblich die Frauenbewegung, später Menschenrechtsorganisationen und anschließend die Lesben- und Schwulenbewegung beigetragen haben. In der Bundesrepublik Deutschland leitet das Bundesverfassungsgericht das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aus der Würde des Menschen nach Art. 1 GG in Verbindung mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG ab. Die Allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 GG spielt dabei eine untergeordnete Rolle.[4] Die Norm der sexuellen Selbstbestimmung schlägt sich in der am 28. November 1973 in Kraft getretenen Sexualstrafrechtsreform beispielsweise in der Einschränkung der Strafbarkeit der Kuppelei und homosexueller Handlungen, aber auch in entscheidenden späteren Gesetzesänderungen wie der am 5. Juli 1997 in Kraft getretenen Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe nieder.[5]
Sexuelle Selbstbestimmung schließt neben der Freiheit vor Übergriffen verbaler, nonverbaler und körperlicher Art sowohl die sexuelle Orientierung als auch die freie Wahl der (erwachsenen) Sexualpartner ein. Auf die Geschlechtsidentität bezogen, kann sie sich als Transgender, Intersexualität oder Cisgender realisieren und in der Form der (sexuellen) Beziehungsgestaltung variieren.
In einem weiteren Sinn werden unter „sexueller Selbstbestimmung“ neben „sexuellen Rechten“ (d. h. Rechten, die die sexuelle Identität und das Sexualverhalten Einzelner betreffen) auch „reproduktive Rechte“ verstanden.[6][7] Damit ist das Recht von Einzelnen und Bevölkerungsgruppen gemeint, ein Kind bzw. Kinder zu haben und über die Zahl eigener Kinder eigenverantwortlich zu entscheiden. Bei einem geplanten Schwangerschaftsabbruch steht dem „reproduktiven Recht“ der Schwangeren das Recht des Nasciturus auf Leben gegenüber.