Der Ausdruck Gottesmord (altgriechisch theoktonia, lateinisch deizid) entstand im Jahr 160 aus der Aussage des Bischofs Melito von Sardes: „Gott ist ermordet worden“. Er behauptet eine angebliche Kollektivschuld der Juden an der Kreuzigung des Jesus von Nazaret und identifiziert diesen Sohn Gottes dabei mit Gott selbst, dem Schöpfer der Welt. Er schreibt dem Judentum also das größte denkbare, universale und unaufhebbare Verbrechen zu.
Dieser Schuldvorwurf ist ein zentrales Stereotyp des christlichen Antijudaismus. Damit begründeten christliche Theologen ab dem 2. Jahrhundert die angebliche „Verwerfung“, „Enterbung“ und Ersetzung des Judentums durch die Alte Kirche (Substitutionstheologie). Demgemäß wurden die Juden in der Kirchengeschichte kontinuierlich als „Gottesmörder“, „Christusmörder“, „Mörder des Herrn“ (griechisch Kyrioktonoi) oder „Heilandsmörder“ bezeichnet und dargestellt. Dieses in der Volksfrömmigkeit verankerte Judenbild trug wesentlich dazu bei, dass Judenfeindlichkeit ein „kultureller Code“ der Geschichte Europas wurde.[1]
Ab dem Hochmittelalter rechtfertigte der Katholizismus, ab der Frühen Neuzeit auch der Protestantismus mit diesem etablierten Judenbild die soziale Diskriminierung, Unterdrückung und zeitweise Verfolgung jüdischer Minderheiten. Das begünstigte den modernen Antisemitismus, trug zu „akuten Formen der Komplizenschaft“ der Großkirchen mit dem Nationalsozialismus bei[2] und ermöglichte es mit, dass der Holocaust überwiegend von christlich getauften Tätern ausgeführt wurde.[3]
Die Großkirchen haben die Christusmord- und Gottesmordthese und weitere damit verknüpfte antijudaistische Stereotype seit 1945 allmählich als Irrtum und Schuld erkannt und sind öffentlich davon abgerückt (siehe Kirchen und Judentum nach 1945).